Der Markt für Unternehmenssoftware ist komplexer geworden: Egal ob CRM-, HR-, Warenwirtschafts- oder ganzes ERP-System – die Auswahl an Anbietern ist riesig. Wie gehen Unternehmen am besten vor, wenn sie eine neue Softwarelösung anschaffen wollen? Woran erkennen sie einen seriösen, zukunftsfähigen Anbieter? Matthias Weber, Experte für Unternehmenssoftware und Geschäftsführer der Beratungsfirma mwbsc GmbH, gibt im Interview wertvolle Tipps.
Herr Weber, welche Möglichkeiten eröffnet ein guter Anbieter, um eine Unternehmenssoftware, wie zum Beispiel eine digitale Aktenlösung, im Auswahlprozess genau kennenzulernen?
Seriöse Anbieter bieten hier einige Optionen, je nachdem, in welcher Phase des Auswahlprozesses der Interessent sich gerade befindet. Generell sollten Unternehmen bei der Entscheidung für eine Softwarelösung auf drei Punkte achten:
- Erstens, die Software verfügt über eine moderne Architektur und Schnittstellen zu den gängigsten Systemen. Hierüber gibt in erster Linie die Dokumentation Aufschluss, aber auch weitere Informationsmaterialien zum Funktionsumfang sollten zur Verfügung stehen.
- Zweitens, der Anbieter sollte mit entsprechenden Referenzprojekten eine sehr gute Expertise innerhalb der Branche des Interessenten nachweisen können. Denn: Nur dann weiß der Dienstleister, welche spezifischen Herausforderungen bei der Implementierung auftreten können, und ist in der Lage, das Unternehmen kompetent zu begleiten.
- Drittens, der Anbieter sollte auf Nachfrage direkt eine stimmige Antwort parat haben, wie der eigene Zukunftsplan aussieht.
Darüber hinaus ist es üblich, dass sich Interessenten in Webinaren oder Demo-Videos einen ersten Eindruck über das Look-and-Feel der Lösung verschaffen können. Das kostenfreie Bereitstellen einer Test-Umgebung, auf die der Interessent im Idealfall über eine Cloud selbstständig zugreifen kann, gehört ebenfalls zu den Services, die viele Softwarehersteller anbieten. Hat ein Dienstleister bei all dem gepunktet, kann es zu guter Letzt sinnvoll sein, eine Testinstallation einschließlich des Imports von Testdaten durchzuführen, um die konkreten Prozesse zu evaluieren. Das ist für den Interessenten zwar mit Kosten verbunden, die im Verhältnis zum gesamten Investitionsaufwand aber meist gut angelegt sind.
Was ist ein realistischer Zeithorizont für die Einführung einer neuen Software – von der konzeptionellen Beratung bis zur Inbetriebnahme? Sind Versprechen von Anbietern, die mit besonders kurzen Zeiträumen werben, Ihrer Erfahrung nach unseriös?
Ob ein Anbieter empfehlenswert ist, hängt weniger vom Zeitraum als vielmehr von der Transparenz des Vorgehens ab. Der Hersteller muss jeden Interessenten umfassend aufklären und an die Hand nehmen. Das Tempo der Einführung sollte sich grundsätzlich nach dem Kunden richten. Ich empfehle für Einführungsprojekte im ERP-Umfeld immer gerne meine QITT-Methode. „QITT“ steht für die einzelnen Projektphasen: Qualifizieren, Implementieren, Trainieren und Transformieren. Am meisten Zeit ist für die erste Phase einzuplanen, in deren Verlauf Anbieter und Kunde gemeinsam ein qualifiziertes Lasten- und darauf aufbauend ein Pflichtenheft erstellen. Hier legt das Projektteam die Grundlagen fest – von der Softwarestruktur über Schnittstellen bis hin zum Berechtigungskonzept. Es ist wichtig, all das gründlich zu durchdenken und vorzubereiten, da die Prozesse der übrigen Phasen auf diesem Fundament aufbauen.
Für wie wichtig halten Sie den persönlichen Kontakt zwischen Anbieter und Unternehmen bei der Auswahl einer neuen Lösung? Sollten Interessenten auch darum bitten, sich mit einem Referenz-Anwender persönlich zu unterhalten?
Wichtig ist vor allem, dass zwischen Lösungsanbieter und Interessenten die Chemie stimmt. Bei einem persönlichen Treffen oder auch beim gemeinsamen Besuch eines Referenzanwenders merken die Beteiligten das schnell. Wer ein gutes Bauchgefühl hat, kann dem zumeist auch trauen. Bestehen Zweifel, ist es ratsam, ein weiteres Treffen anzusetzen, um den Anbieter noch einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Wie erwähnt sollten Interessenten unbedingt nach konkreten Erfolgsgeschichten aus ihrer Branche fragen.
Wie lässt sich erkennen, ob ein Anbieter alle notwendigen Datenschutz- und Datensicherheitsanforderungen einhält?
Datenschutz ist beim Thema Enterprise-Software natürlich essenziell. Daher sollte man unbedingt einen externen Datenschutzexperten oder den eigenen Datenschutzbeauftragten mit an Bord nehmen. Dieser kann die Anforderungen an das zukünftige System am besten formulieren. Interessenten sollten sich vom Anbieter schriftlich bestätigen lassen, dass diese Voraussetzungen mit seiner Lösung umsetzbar sind.
Komplettlösung oder Best-of-Breed: Empfehlen Sie für bestimmte Bereiche, z. B. das Human Resource Management, eher den einen oder den anderen Ansatz? Von welchen Faktoren hängt diese Entscheidung ab?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Unternehmen sollten als erstes einen Schritt zurückgehen und sich grundsätzlich über ihre EAS-Architektur Gedanken machen. „EAS“ steht für Enterprise Application Software. Es braucht ein unternehmensweites, schlüssiges Konzept, um verschiedene Software-Applikationen sinnvoll einzusetzen.
Aufgrund der Komplexität von integrierten Lösungen erscheint vielen eine Komplettlösung attraktiver, da sie einfacher zu implementieren ist. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Mit einer einzigen IT-Plattform, die zwar leicht einzuführen ist, aber die Geschäftsprozesse schlecht abbildet, tun sich Unternehmen auf lange Sicht keinen Gefallen. Dass nämlich eine Komplettlösung sämtliche Anforderungen perfekt abdeckt, ist eher eine Ausnahme als die Regel. Darum ist es in vielen Fällen sinnvoll, mehrere Systeme zu einer kohärenten EAS-Architektur zu assemblieren. Je nach Firmengröße, Branche und verfügbaren Lösungen kann diese Architektur ganz unterschiedlich aussehen. Die Entscheidung darüber müssen Unternehmen im Rahmen eines EAS-Architektur-Konzepts treffen – bevor sie konkrete Lösungen auswählen.
Wie entwickeln Unternehmen ein tragfähiges EAS-Architektur-Konzept?
Auch hier gibt es keine generelle Antwort. Klar ist: Wer den Best-of-Breed-Ansatz in Betracht zieht, muss sich bereits im Vorfeld über Schnittstellen und Datenflüsse im Klaren sein. Andernfalls produziert man schnell Datengräber oder ineffiziente Prozesse. Bei der Konzepterstellung können Experten helfen, die sich sowohl mit Geschäftsprozessen als auch mit IT-Systemen auskennen. Egal ob das nötige Know-how inhouse vorhanden ist oder von externen Beratern eingebracht wird – eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema ist unabdingbar.
Was zeichnet einen zukunftsfähigen Anbieter aus, der voraussichtlich auch in zehn Jahren noch am Markt besteht?
Auch wenn sich das nie mit hundertprozentiger Sicherheit vorhersagen lässt, gibt es doch mehrere Faktoren, auf die Unternehmen achten sollten: Zunächst einmal muss der Anbieter glaubhaft vermitteln können, dass er eine Zukunftsvision hat – und darf nicht aus allen Wolken fallen, sobald Interessenten nach seiner Produkt-Roadmap für die nächsten fünf bis zehn Jahre fragen. Zukunftsfähige Anbieter erkennen Trends und setzen sie zeitnah in der Software um. Handelt es sich nicht gerade um ein frisch gegründetes Start-up, können Interessenten fragen, welche Entwicklungen der Anbieter bereits aufgegriffen hat. Wie bereits erwähnt, ist auch eine transparente Kommunikation über das Unternehmen und das Produkt ein gutes Zeichen. Und nicht zuletzt gibt es Zertifizierungen, die Unternehmen eine tragfähige finanzielle Basis bescheinigen, wie zum Beispiel das Bonitätszertifikat CrefoZert.
Welche Gründe sprechen Ihrer Einschätzung nach dafür oder dagegen, Unternehmenssoftware aus der Cloud zu beziehen? Ist On-Premises überhaupt noch zeitgemäß?
Der größte Vorteil der Cloud liegt auf der Hand: weniger Aufwand mit dem eigenen IT-Betrieb und damit die Chance, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Es braucht jedoch Vertrauen gegenüber dem Hosting-Anbieter, denn die Server stehen nicht mehr in den eigenen vier Wänden. In der richtigen Kombination von kompetentem Hosting-Anbieter und moderner Software bergen Cloud-Lösungen ein erhebliches Potenzial. Unternehmen können damit nicht nur ihre Kosten für die Implementierung und den Betrieb von IT-Strukturen deutlich senken, sondern profitieren auch von höherer Flexibilität und Skalierbarkeit. So ist es möglich, das eigene Geschäft schnell an Marktveränderungen anzupassen – und letztlich das Unternehmenswachstum zu beschleunigen.
Matthias Weber, Experte für Unternehmenssoftware und Geschäftsführer der mwbsc GmbH
© Matthias Weber